Von 0 bis Marathon
100 Meilen laufen – ist das noch vorstellbar? Klar, nachdem
Claudia und ich ja 2013 die 100 km in Biel bezwungen hatten und in 2014 den
nicht minder schweren K78 in Davos, war zumindest mir klar, dass die 100 Meilen
der nächste Schritt sein würden. Nach Danielas Bericht vom letzten Jahr war
auch meine Claudia sofort hin und weg und ich musste sie nicht mehr…..sagen wir
überzeugen. Für einen Geschichtsfreak wie mich ist der Mauerweglauf ja dann
auch irgendwie genau das richtige.
Also meldeten wir uns kurzentschlossen an, es war ja noch
ein Jahr Zeit! Dann ist es ja auch die weitere logische Zwischenetappe zum
nächsten Ziel – der TorTour de Ruhr 2016, welche uns als Helfer im letzen Jahr
auch dermaßen beindruckt hatte, dass zumindest mir klar war, diese auch einmal
bezwingen zu müssen.
Wie geht man ein solches Event an, wenn man noch nie weiter
als gut 100 Kilometer gelaufen ist? Nun ja, der Traildorado am Glörsee im
letzten Herbst war schon einmal ein Anfang, 105 Kilometer Trail in 24 Stunden
war ein guter Einstieg für Körper und Geist. Danach folgte zunächst ja mal die
Vorbereitung auf den schnellen Frühjahrsmarathon in Wien. Für mich eines meiner
beiden großen Ziele 2015, welches ist ja ich dann leider nicht erreichen konnte.
Aber die 100 Meilen waren irgendwie ja doch die größere Herausforderung. Yvy,
unsere Lauffreundin aus der Ausdauerschule hatte sich ja in einem Anflug
geistiger Umnachtung zur Radbegleitung bereit erklärt, spätestens im
Trainingslager im März kam auch Ihr Freund Henning nicht mehr aus der Nummer „Wenn
Du keinen andern findest, mach ich es
bei Dir!“ heraus. Wen soll ich in Berlin schon sonst finden?
Nun ja, Wien war in die Hose gegangen, der Seilersee als
Experiment 100 + X aber mit 130,8 Kilometer in 24 Stunden erfolgreich bewältigt
worden. Die 30 hinten drauf konnten ja nicht so schlimm werden!
Die Planung 2015 sah nach dem schnellen Marathon in Wien 14
Tage Pause, dann den Ultra am Seilersee und im Mai/Juni einige Marathonläufe „zum
Training“ vor. Das Konzept lief gut, denn die Marathonläufe an fast jedem
Wochenende machten Spaß. Es ist herrlich, nach 4 Monaten Trainingsplandisziplin
das Vergnügen zu erleben, ohne Zeitdruck und in respektvollem Abstand vom
eigenen Limit all diese schönen Laufveranstaltungen zu genießen. Aber reichen
Marathonläufe? Es sind nur 42,195 Kiometer, das ist nur gut ein Viertel der
Wahnsinnsdistanz, die wir da vor der Brust hatten? Ein Wochenende zu Pfingsten
hatten wir ja noch mit 100 Kilometer Gesamttrainingsdistanz in drei Tagen
garniert. Nun, ich bin der Auffassung, dass der Grat zwischen „sich kaputt
trainieren“ und einer optimal ausreichenden Vorbereitung ein sehr schmaler ist.
Also mussten irgendwie ein bis zwei noch längere Läufe in die unmittelbare
Vorbereitung eingebaut werden. Das taten wir dann auch. Die belgische Küste mit
70 Kilometern und den Sternlauf Münster mit 78 Kilometern bewältigten wir bei
unterschiedlichsten Wetterverhältnissen recht gut, dazu noch etliche
Fahrradkilometer mit unseren Rennrädern. Ich fühlte mich gewappnet und ich
glaube, meine Frau auch.
Eine physische Vorbereitung ist beim Ultra aber nur die
Hälfte der Vorbereitung, mindestens ebenso wichtig ist die mentale
Vorbereitung. Man muss 100 Meilen im Kopf hinbekommen, denn schwer wird es
immer unterwegs. Ich pflege mich dabei immer gründlichst auf den Kurs
einzustellen, in diesem Falle, indem ich für meine Frau einen Audiovisuellen
Guide für das Handy drehte. Nun ja, ich hatte noch eine Woche Urlaub zuhause
und das Wetter war schlecht! Also ging ich die Strecke Kilometer um Kilometer
durch, ergänzte das Roadbook des Veranstalters um eigenes Wissen, teilweise
durch Internet-Informationen vertieft und sprach dies, garniert mit kleinen
Einspielfilmchen und Originaltönen in meine Webcam. So kam es mir vor, als sei
ich die Strecke schon mehrfach gelaufen, mir war aber auch die Bedeutung vieler
Orte klar, auf die ich dabei sehr neugierig wurde.
Die Anreise war für Freitag geplant, früh um sieben ging es
dann los. Die Räder von Yvy und Henning aufgeladen. Es war bereits lecker warm,
für Berlin waren so 35 Grad angesagt. Für den Raceday am Samstag änderten sich
die Prognosen gefühlt alle 10 Minuten. Ursprünglich war es wolkenlos bei 38(!)
Grad, dann ging es langsam Richtung mehr oder weniger bewölkt, zuletzt kamen
Gewitter und sogar eine Unwetterwarnung dazu. Claudia schien das in der letzten
Woche dann doch nervös gemacht zu haben, mich ließ das relativ unberührt.
Lediglich vor einem Rennabbruch wegen Unwetter hatte ich echte Angst. Aber
laufen ist eine Freiluftsportart, darum lieben wir sie alle ja so. Da muss man
dann halt auch mit den Verhältnissen klarkommen. Beim Sternlauf Münster waren
es auch 28 Grad, und der ging ja tagsüber zu Ende. In der Nacht würde es nicht
so schlimm werden, dachte ich in meinem jugendlichen Leichtsinn. Gegen Mittag
kamen wir in Berlin-Mitte an, nachdem wir zuvor bei Passage des ehemaligen
Grenzübergangs Dreilinden die Strecke das erste Mal kreuzen durften, was
bereits so etwas wie Ehrfurcht vor einer blöden Fußgängerautobahnbrücke
auslöste. Immerhin würden wir hier 30 Stunden später schon über 90 Kilometer
auf dem Tacho haben. Wir schmissen die Frauen vor dem Hotel mangels
Parkmöglichkeit raus und stellten den Wagen am Jahn-Sportpark ab, wo wir von
einer netten Dame dankenswerterweise noch eine Parkkarte erhielten. Bereits vor
dem Hotel gab es das erste Hallo, als uns Ricarda und Christian über den Weg
liefen. Wir holten gleich unsere Startunterlage, noch war da wenig Betrieb.
Delinquentenschau |
Startunterlagenausgabe |
Die Pasta-Party war dann schon einmal die beste, die ich je
gesehen habe. Im edlen Veranstaltungssaal des Ramada-Hotels war ein Salatbüffet
vom feinsten aufgebaut, dazu drei Sorten Pasta mit Bolognese,
Veganer-Tofu-Sauce und Pesto, Eis zum Nachtisch und viel frischem Obst. Auch
das Briefing in einem anderen Saal des Hotels wurde unerwartet humorig von Hajo
Palm abgehalten, auch der Rennarzt war ziemlich schmerzfrei, als er die Ansicht
verbreitete, mit angebrochenen Rippen oder so etwas könne man ja ruhig weiter
laufen. Der Mann war mir sympathisch.
Dann mal ab in die Kiste, wobei es dann doch 10 Uhr war, bis
wir unsere 3 Dropbags und die Fahrradtaschen gepackt hatten. Wechselklamotten in jeden Sack, die Nachtausrüstung mit Lampe und Warnweste vorsichtshalber in Nr. 2 (Km 72, man weiß ja nie!). Ersatzschuhe in die Fahrradtasche. War alles im
richtigen Sack? Nichts vergessen? Mit Yvy und Henning verabreden wir, dass wir
uns etwa zwischen Kilometer 45 und 50 treffen wollten. Hauptgrund dafür war,
dass wir unsere Rucksäcke mit den Pflicht-Wasservorräten nicht länger tragen
wollten. Bis dahin würden wir gut zusammen laufen können und würden uns noch
nicht aufgrund unterschiedlicher Befindlichkeiten gegenseitig stören oder gar
in Streit geraten. Näheres würden wir unterwegs per Telekommunikation lösen.
Inzwischen führten die Bayern dann mal 4:0 und ich lag im
Bett. An gutem Schlaf mangelte es nicht, zumindest bis um 3:30 Uhr der Wecker
ging. Ich mache kurz das Fenster auf, mir schlägt eklig schwül-warme Luft
entgegen. Locker 25 Grad! Na ja, seis drum. Dämpfte zumindest meine Erwartung
an die Kühle der kommenden Nacht! Immer noch war ich nicht wirklich nervös,
sollte mich das beunruhigen? Noch schnell ein ordentliches Frühstück im Hotel,
etwas getrübt durch die Tatsache, dass die Brötchen wohl noch nicht geliefert
worden waren, dann ging es gemeinsam mit Daniela in den Shuttle-Bus,
der uns die zwei Kilometer zum Start bringen sollte. Auch hier das Treffen mit den üblichen Verdächtigen, ich möchte mir als 100-Meilen-Rookie gar nicht ausmalen, was die hier schon alle gelaufen sind. Und ehe man sich versieht ist es hell und wir stehen auf der Tartanbahn. Wir laufen gleich mal zusammen los und ich versuche, von Anfang an auf die Pace zu achten, um nur nicht zu schnell zu werden. Die Luft ist noch erträglich, aber die Sonne verbirgt sich noch hinter ein paar Wölkchen. Vorbei an der Schmeling-Halle und über den Schwedter Steg geht es unter der Bornholmer Brücke entlang, wo 1989 die Grenze geöffnet wurde. Ein erster besonderer Moment. Ich lasse Claudia hier noch ein über Lautsprecher an unserem Audioguide teilhaben. Norman nutzt uns hier noch als Bremse, er läuft gerne zu schnell los, wie er sagte. Das hält er aber nur wenige Kilometer durch. Durch Vorstadtarchitektur zwischen Pankow und Rehberge, dann entlang der S-Bahntrasse. Die Pace ist gut, zu langsam geht eigentlich ja nicht. Am ersten VP halten wir uns nicht lange auf, ein kleiner Schluck und weiter geht es. Wir laufen neben einer Läuferin und einem Läufer des LC Mauerweg her, er erzählt uns ein wenig mehr über die Strecke, während wir entlang der ehemaligen Bergmann-Borsig-Werke laufen. Dann passiert leider etwas, was in jedem Laurel-und-Hardy-Film zum tot lachen gewesen wäre, hier jedoch ganz und gar nicht lustig war. Während unser Begleiter mit uns spricht, sieht er eine Bekannte mit dem Rad am Straßenrand stehen. Er dreht sich laufend zu ihr um, ich hole gerade Luft, um ihn vor dem Poller zu warnen, da war es passiert. Genau in passender Höhe endete der Wegpoller auf gleicher Höhe wie der Schritt des Laufkollegen, dankenswerterweise war der Pfahl zumindest oben abgerundet. Es müssen dennoch ziemliche Schmerzen gewesen sein, die Vereinskollegin kümmerte sich um ihn und wir liefen nach kurzen guten Wünschen dann weiter. Wie wir später erfahren haben, war hier dennoch Schluss für den armen Kollegen. Von hier aus alles Gute! Das Mäkische Viertel, eine 60er-Jahre Hochhaussiedlung im Westen mit Geschichte als Apo-Quartier der Baaders und Dutschkes und als sozialer Brennpunkt entlang geht es nach Lübars ganz in den dörflichen Norden. Claudia und mir geht es gut, aber nun bricht die Sonne endgültig durch die Wolken. Eine ganz tolle Landschaft öffnet sich, Felder und der Kirchturm von Lübars versprühen bäuerlichen Charme am Rande der
Dorf Lübars |
Naturschutzturm Waldjungend |
Invalidensiedlung |
Havel bei Hennigsdorf |
Wechselpunkt 1 Ruderclub Oberhavel, Kilometer 34 |
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