Festhalle Frankfurt, Sonntag, 29.10.2016. 13:18 Uhr. Ein
Läufer mit rot-weißem Oberteil mit dem Aufdruck Ausdauerschule läuft aus dem
gleißenden Sonnenlicht des wundervollen Herbsttages in die von bunten
Lichtfingern magisch beleuchtete Festhalle in Frankfurt. Ein Blick auf die Uhr,
er nimmt Tempo heraus, hebt die Arme und geht langsam die letzten 10 Meter über
die Ziellinie. Ein lautes, lang gezogenes „Jaaaaa!“ kämpft gegen die laute,
dramatische Musik und den Applaus der
Zuschauer an. Dann geht er im Ziel
erschöpft auf die Knie und vergräbt den Kopf zwischen den Armen.
So hatte ich es mir vorgestellt. Genauso. Und so ist es
gekommen. Kann es ein schöneres Geschenk in einem tollen, erlebnisreichen
Laufjahr geben?
Den Marathon hatten wir sofort nach unserer Teilnahme 2015
wieder gebucht. Frankfurt ist irgendwie „meine Strecke“, das Gesamtpaket stimmt
hier. Die Hotelpreise werden nicht zum Marathon-Wochenende mit Top-Zuschlag
versehen wenn man früh genug bucht. Man erhält im Preis inbegriffen einen gut
gefüllten Starterbeutel, freies Alkoholfreies auf der gut eingerichteten
Marathon-Messe. Dazu ein freies Nudelgericht und noch einmal drei
Getränkegutscheine am Samstag und die Festhalle, wo man an vielen Tischen
gemütlich andere Läufer treffen und vom Zieleinlauf träumen kann, während im
Bühnenprogramm Sportler wie Jan Frodeno oder Arne Gabius ihren Auftritt haben.
Das Ursprungsziel war „Bestzeitenangriff“, was für mich eine
Zeit unter 3 Stunden und 10 Minuten bedeutet. Der Abstand zur TorTour de Ruhr
erschien mir mit 5 ½ Monaten groß genug, um Regeneration und Tempoaufbau
integrieren zu können.
Nach dem ungeplant laufintensiven Sommer und meinem Finish
mit einer 1:41 beim Wörthersee-Halbmarathon im Urlaub musste ich mich von
diesem Projekt verabschieden. 9 Wochen würden nicht reichen, um mir
„Ultra-Leiche“ wieder genug Tempo anzuschleifen, um eine Pace unter 4:30 halten
zu können. Aber meine letzte „vorzeigbare“ Marathonzeit ist 2 ½ Jahre alt. Mein
Ego verträgt es nicht mehr, zu sagen, ich könne eine 3:11 laufen. Ich muss sagen
„Ich konnte eine 3:11 laufen“. Ich habe aber Ansprüche und so setzte ich mein
Ziel in jenem Sommerurlaub auf 3:15 herab. In großen Zweifeln, ob das
realisierbar sei plante ich vorsorglich ein „Ziel B“ ein, welches dann zumindest„unter 3:20“ liegen sollte. So ging ich ins Tempotraining ab Ende August.
Tempotraining macht nun einmal überhaupt keinen Spaß,
solange Du kein Tempo hast. So quälte ich mich durch den September. Gehetzt
zwischen Büroterminen und Einbruch der Dunkelheit, hinterherlaufend in der
schnellen Donnerstags-Trainingsgruppe in der Ausdauerschule und von steigender
Demotivation geplagt, denn die Zweifel wurden mit jeder gequälten 4:55er Pace
größer. Hier hielt mich wiederum nur die tolle Trainingsgruppe und die
siffüsanten Sprüche unseres Trainers Schleifer-Sven bei der Stange, denen man
es ja dann doch irgendwie zeigen will. Auf irgendwelchen Quatsch verzichtete
ich in dieser Zeit, selbst den LiDoMa VIII auf der Motocrossstrecke brach ich
nach 25 km ab und hatte ihn nur als langen Trainingslauf genutzt, was mir auf
diesem grandiosen Läuferspielplatz richtig wehgetan hatte. Dann liest man von all den anderen
Facebook-Freunden, die sich in Frankfurt ähnliches vorgenommen haben. Was die
so alles machen. Welche tollen Zeiten die auf Unterdistanzen hinlegen. Und die
Zweifel werden nicht kleiner, wenngleich kaum einer von denen schon einmal 23
oder 32 Stunden am Stück gelaufen sein dürfte. Ich denke, das stärkt schon
irgendwie meinen Charakter und da aufgeben nie meine Sache war, trainierte ich
weiter. Knackpunkt war für mich Bunerts Lichterlauf am 24.9. . Die
ungeliebteste aller Unterdistanzen, nämlich die 10 km. Ich völlig lustlos,
ahnungslos, welches Tempo ich mir zumuten konnte. Als ich mich dann auf der
letzten Rille ins Ziel gekämpft hatte, stand die 43:11 Min. auf meiner Uhr.
Über 44 hätte ich bei dem Gefühl im Ziel die 3:15 aufgegeben zu diesem
Zeitpunkt. Aber die 43:11 ließ zumindest Hoffnung. Und irgendwie lief es fortan
besser. Das Tempo kehrte wie von selbst ins Training zurück. Ich konnte mit
einem Male ohne große Anstrengung die Pace von 4:40, später sogar 4:35 über
längere Strecken im Training allein laufen, ohne mich von der Uhr treiben
lassen zu müssen. Gut, 14 Trainingskilometer sind noch nicht die volle
Wettkampfdistanz eines Marathonlaufs. Noch zwei Tests standen an. Mein
geplantes „Mini-Trainingslager“ mit der 24h-Staffel beim Traildorado endete
bekannt erfolgreich, wenn auch hier mit 64 km in 24 h mehr Laufkilometern als
geplant absolviert werden mussten. Der erfolgreiche Ausgang nach großem Kampf
zeigte aber, was sein kann, wenn man dafür arbeitet. Für den Kopf und das Ego
ganz wichtige Erkenntnis drei Wochen vor dem Marathon. Dafür baute ich dann eigenmächtig
Tempoeinheiten aus meinem Plan aus und Ruhetage ein. Ich hatte das Gefühl, dass
Regeneration für mich wichtiger war. Dann kam die Generalprobe, der
Rhein-City-Run Düsseldorf-Duisburg. Mit viel Lust und ein wenig Bangen ging ich
an den Start. Ich wollte Marathon-Tempo von 4:37/38 testen und sehen, wie ich
mich m Ziel fühle. Und im Ziel nahm ich als erstes mein Handy, postete mein
Zielfoto und die Zeit von 1:36:11 h, was einer 4:32er Pace entsprach und
relativ gut lief. Dazu den Satz, dass ich die 3:15 nun angehen werde. Damit
setze ich mich öffentlich bewusst unter Druck, denn nun muss ich auf meine
Postings auch Taten folgen lassen.
Das mag nicht jedermanns Sache sein, mein Mittel ist es.
Indem ich ein Ziel ausgebe und öffentlich mache, bin ich dann zumindest den
ernsthaften Versuch schuldig. Ausreden gibt es immer genug. Aber ein Scheitern
ist für mich dann keine Schande, wenn man etwas gewagt hat. Facebook-Freunde prophezeiten mit eine 3:20 –
3:25 auf dieses Statement. Das finde ich nicht schlimm und auch nicht böse
gemeint. Eine bekannte aus dem Ayyo-Team hat sich noch am Samstagabend auf der
Messe bei mir entschuldigend geäußert, dass sie nicht an die 3:15 glaubt.
Vielleicht 3:18 oder so. Das sehe ich positiv. Denn es setzte letztendlich
positive Energien frei, es „denen“ zu zeigen. Nicht böse gemeint, aber sie doch
lächelnd zu widerlegen. Auch das ist Motivation. Das ist mir lieber als ein
daher gesagtes „Du schaffst das schon“, das nicht von echtem Glauben unterlegt
ist, sondern nur aufmunternd wirken soll.
Unser Trainer Roman hatte um diese Zeit auf der FB-Seite der
Ausdauerschule eine Posting verfasst, in dem es genau darum ging. An sich und
seine Stärken zu glauben. Und auch ich glaubte nun und wollte etwas wagen. Ich
zweifelte schon, ob es gelingen könnte. Aber es waren keine „Angstzweifel“
sondern eher „Neugierzweifel“. Und damit war für mich die Belastung weg. Ich
freute mich auf Frankfurt, auf viele bekannte Gesichter. Auf unsere Freunde von
der Ausdauerschule, und auf die Strecke. Ich wusste, dass ich im Tempo dieses
Halbmarathons noch bis km 30 hätte weiterlaufen können. Etwas langsamer dann
vielleicht sogar bis 32 oder 35. Und den Rest würde mein starker Wille
erledigen. Gepaart mit dem tollen Publikum in Frankfurt auf den letzten 3 ½
Kilometern. Hier ist nämlich nicht kurz vor dem Ziel „tote Hose“, wie in Duisburg
auf dem Kalkweg, Hamburg zwischen Außenalster und Dammtor oder selbst in Berlin
(zwischen Gendarmenmarkt und Pariser Platz ist der Zuschauerzuspruch bei uns
damals eher dürftig gewesen).
Das sind für mich Dinge, die im Vorfeld ganz wichtig waren.
Die Strecke zu kennen und zu mögen. Eine positive Einstellung aufgrund vieler
positiver Läufer dort zu Frankfurt zu haben. Noch nie ist dort einer unserer 4
Starts danebengegangen. Immer habe ich meine Ziele erreicht oder übertroffen. In Hamburg beispielsweise ist das anders. Dort
bin ich zweimal mehr oder weniger gescheitert. Ich werde diesen Lauf nie
lieben, auch wenn er großartig ist.
Die letzten Einheiten verwunderten mich, dann statt Tapering
standen noch einmal recht anspruchsvolle Läufe bis zum Dienstag vor dem Rennen
auf meinem Plan. Aber die gingen in der geschilderten Stimmung gut, meine tiefe
Überzeugung wuchs weiter.
In Frankfurt dann wurde ich selbst am Vorabend nicht
wirklich nervös. Ich schlief sehr gut, erst etwas 90 Minuten vor dem Start überkam
mich dann auch die Anspannung.
Aber dergestalt, dass ich am liebsten sofort
losgelaufen wäre. Ich war heiß wie Frittenfett, jetzt auch abzuliefern. Früh
verabschiedete ich mich vor dem Start von meiner Claudia und den anderen, dann
ging ich in meinen Startblock 2. Konzentration. Start. Das Ergebnis leitete
meinen Bericht ein. Es kam tatsächlich, wie erträumt. Über den Lauf werde ich eine Laufgeschichte verfassen.
Ich möchte hier mit diesem Bericht Mut machen. Mut, weiter
zu machen, auch wenn es einmal nicht läuft. Selbstbewusst sich auf seine
Stärken zu besinnen, an den Schwächen zu arbeiten. Sich nicht verrückt zu
machen, was andere tun. Die haben eine eigene Geschichte. Und die passt niemals
1:1 zu einem selbst.
„Audere est facere“ steht unter dem Wappen der Tottenham
Hotsspurs auf der Hose, die ich immer beim Stabi trage. Und auf dem
dazugehörigen Trikot aus Klinsmanns Zeiten bei diesem Londoner Verein. „To dare
ist to do“, die englische Übersetzung, ziert die Wände des Nachwuchszentrums
der „Spurs“ in London, wie ich in einem Bericht in der FAZ gelesen hatte. Etwas
zu wagen heißt, es einfach zu tun. Dann aber auch selbstbewusst damit umgehen,
wenn es nicht geklappt hat. Geht aber nur, wenn man sich unterwegs nicht selbst
betrogen hat. Auch dazu bietet ein Marathon genug Gelegenheiten. Ich habe
gewagt. Und alles gewonnen.
Danke dafür. Wem auch immer.