Montag, 31. Oktober 2016

Audere est facere

Festhalle Frankfurt, Sonntag, 29.10.2016. 13:18 Uhr. Ein Läufer mit rot-weißem Oberteil mit dem Aufdruck Ausdauerschule läuft aus dem gleißenden Sonnenlicht des wundervollen Herbsttages in die von bunten Lichtfingern magisch beleuchtete Festhalle in Frankfurt. Ein Blick auf die Uhr, er nimmt Tempo heraus, hebt die Arme und geht langsam die letzten 10 Meter über die Ziellinie. Ein lautes, lang gezogenes „Jaaaaa!“ kämpft gegen die laute, dramatische  Musik und den Applaus der Zuschauer an.  Dann geht er im Ziel erschöpft auf die Knie und vergräbt den Kopf zwischen den Armen.
So hatte ich es mir vorgestellt. Genauso. Und so ist es gekommen. Kann es ein schöneres Geschenk in einem tollen, erlebnisreichen Laufjahr geben?
Den Marathon hatten wir sofort nach unserer Teilnahme 2015 wieder gebucht. Frankfurt ist irgendwie „meine Strecke“, das Gesamtpaket stimmt hier. Die Hotelpreise werden nicht zum Marathon-Wochenende mit Top-Zuschlag versehen wenn man früh genug bucht. Man erhält im Preis inbegriffen einen gut gefüllten Starterbeutel, freies Alkoholfreies auf der gut eingerichteten Marathon-Messe. Dazu ein freies Nudelgericht und noch einmal drei Getränkegutscheine am Samstag und die Festhalle, wo man an vielen Tischen gemütlich andere Läufer treffen und vom Zieleinlauf träumen kann, während im Bühnenprogramm Sportler wie Jan Frodeno oder Arne Gabius ihren Auftritt haben.

Das Ursprungsziel war „Bestzeitenangriff“, was für mich eine Zeit unter 3 Stunden und 10 Minuten bedeutet. Der Abstand zur TorTour de Ruhr erschien mir mit 5 ½ Monaten groß genug, um Regeneration und Tempoaufbau integrieren zu können.
Nach dem ungeplant laufintensiven Sommer und meinem Finish mit einer 1:41 beim Wörthersee-Halbmarathon im Urlaub musste ich mich von diesem Projekt verabschieden. 9 Wochen würden nicht reichen, um mir „Ultra-Leiche“ wieder genug Tempo anzuschleifen, um eine Pace unter 4:30 halten zu können. Aber meine letzte „vorzeigbare“ Marathonzeit ist 2 ½ Jahre alt. Mein Ego verträgt es nicht mehr, zu sagen, ich könne eine 3:11 laufen. Ich muss sagen „Ich konnte eine 3:11 laufen“. Ich habe aber Ansprüche und so setzte ich mein Ziel in jenem Sommerurlaub auf 3:15 herab. In großen Zweifeln, ob das realisierbar sei plante ich vorsorglich ein „Ziel B“ ein, welches dann zumindest„unter 3:20“ liegen sollte. So ging ich ins Tempotraining ab Ende August.
Tempotraining macht nun einmal überhaupt keinen Spaß, solange Du kein Tempo hast. So quälte ich mich durch den September. Gehetzt zwischen Büroterminen und Einbruch der Dunkelheit, hinterherlaufend in der schnellen Donnerstags-Trainingsgruppe in der Ausdauerschule und von steigender Demotivation geplagt, denn die Zweifel wurden mit jeder gequälten 4:55er Pace größer. Hier hielt mich wiederum nur die tolle Trainingsgruppe und die siffüsanten Sprüche unseres Trainers Schleifer-Sven bei der Stange, denen man es ja dann doch irgendwie zeigen will. Auf irgendwelchen Quatsch verzichtete ich in dieser Zeit, selbst den LiDoMa VIII auf der Motocrossstrecke brach ich nach 25 km ab und hatte ihn nur als langen Trainingslauf genutzt, was mir auf diesem grandiosen Läuferspielplatz richtig wehgetan hatte.  Dann liest man von all den anderen Facebook-Freunden, die sich in Frankfurt ähnliches vorgenommen haben. Was die so alles machen. Welche tollen Zeiten die auf Unterdistanzen hinlegen. Und die Zweifel werden nicht kleiner, wenngleich kaum einer von denen schon einmal 23 oder 32 Stunden am Stück gelaufen sein dürfte. Ich denke, das stärkt schon irgendwie meinen Charakter und da aufgeben nie meine Sache war, trainierte ich weiter. Knackpunkt war für mich Bunerts Lichterlauf am 24.9. . Die ungeliebteste aller Unterdistanzen, nämlich die 10 km. Ich völlig lustlos, ahnungslos, welches Tempo ich mir zumuten konnte. Als ich mich dann auf der letzten Rille ins Ziel gekämpft hatte, stand die 43:11 Min. auf meiner Uhr. Über 44 hätte ich bei dem Gefühl im Ziel die 3:15 aufgegeben zu diesem Zeitpunkt. Aber die 43:11 ließ zumindest Hoffnung. Und irgendwie lief es fortan besser. Das Tempo kehrte wie von selbst ins Training zurück. Ich konnte mit einem Male ohne große Anstrengung die Pace von 4:40, später sogar 4:35 über längere Strecken im Training allein laufen, ohne mich von der Uhr treiben lassen zu müssen. Gut, 14 Trainingskilometer sind noch nicht die volle Wettkampfdistanz eines Marathonlaufs. Noch zwei Tests standen an. Mein geplantes „Mini-Trainingslager“ mit der 24h-Staffel beim Traildorado endete bekannt erfolgreich, wenn auch hier mit 64 km in 24 h mehr Laufkilometern als geplant absolviert werden mussten. Der erfolgreiche Ausgang nach großem Kampf zeigte aber, was sein kann, wenn man dafür arbeitet. Für den Kopf und das Ego ganz wichtige Erkenntnis drei Wochen vor dem Marathon.  Dafür baute ich dann eigenmächtig Tempoeinheiten aus meinem Plan aus und Ruhetage ein. Ich hatte das Gefühl, dass Regeneration für mich wichtiger war. Dann kam die Generalprobe, der Rhein-City-Run Düsseldorf-Duisburg. Mit viel Lust und ein wenig Bangen ging ich an den Start. Ich wollte Marathon-Tempo von 4:37/38 testen und sehen, wie ich mich m Ziel fühle. Und im Ziel nahm ich als erstes mein Handy, postete mein Zielfoto und die Zeit von 1:36:11 h, was einer 4:32er Pace entsprach und relativ gut lief. Dazu den Satz, dass ich die 3:15 nun angehen werde. Damit setze ich mich öffentlich bewusst unter Druck, denn nun muss ich auf meine Postings auch Taten folgen lassen.
Das mag nicht jedermanns Sache sein, mein Mittel ist es. Indem ich ein Ziel ausgebe und öffentlich mache, bin ich dann zumindest den ernsthaften Versuch schuldig. Ausreden gibt es immer genug. Aber ein Scheitern ist für mich dann keine Schande, wenn man etwas gewagt hat.  Facebook-Freunde prophezeiten mit eine 3:20 – 3:25 auf dieses Statement. Das finde ich nicht schlimm und auch nicht böse gemeint. Eine bekannte aus dem Ayyo-Team hat sich noch am Samstagabend auf der Messe bei mir entschuldigend geäußert, dass sie nicht an die 3:15 glaubt. Vielleicht 3:18 oder so. Das sehe ich positiv. Denn es setzte letztendlich positive Energien frei, es „denen“ zu zeigen. Nicht böse gemeint, aber sie doch lächelnd zu widerlegen. Auch das ist Motivation. Das ist mir lieber als ein daher gesagtes „Du schaffst das schon“, das nicht von echtem Glauben unterlegt ist, sondern nur aufmunternd wirken soll.
Unser Trainer Roman hatte um diese Zeit auf der FB-Seite der Ausdauerschule eine Posting verfasst, in dem es genau darum ging. An sich und seine Stärken zu glauben. Und auch ich glaubte nun und wollte etwas wagen. Ich zweifelte schon, ob es gelingen könnte. Aber es waren keine „Angstzweifel“ sondern eher „Neugierzweifel“. Und damit war für mich die Belastung weg. Ich freute mich auf Frankfurt, auf viele bekannte Gesichter. Auf unsere Freunde von der Ausdauerschule, und auf die Strecke. Ich wusste, dass ich im Tempo dieses Halbmarathons noch bis km 30 hätte weiterlaufen können. Etwas langsamer dann vielleicht sogar bis 32 oder 35. Und den Rest würde mein starker Wille erledigen. Gepaart mit dem tollen Publikum in Frankfurt auf den letzten 3 ½ Kilometern. Hier ist nämlich nicht kurz vor dem Ziel „tote Hose“, wie in Duisburg auf dem Kalkweg, Hamburg zwischen Außenalster und Dammtor oder selbst in Berlin (zwischen Gendarmenmarkt und Pariser Platz ist der Zuschauerzuspruch bei uns damals eher dürftig gewesen).
Das sind für mich Dinge, die im Vorfeld ganz wichtig waren. Die Strecke zu kennen und zu mögen. Eine positive Einstellung aufgrund vieler positiver Läufer dort zu Frankfurt zu haben. Noch nie ist dort einer unserer 4 Starts danebengegangen. Immer habe ich meine Ziele erreicht oder übertroffen.  In Hamburg beispielsweise ist das anders. Dort bin ich zweimal mehr oder weniger gescheitert. Ich werde diesen Lauf nie lieben, auch wenn er großartig ist.
Die letzten Einheiten verwunderten mich, dann statt Tapering standen noch einmal recht anspruchsvolle Läufe bis zum Dienstag vor dem Rennen auf meinem Plan. Aber die gingen in der geschilderten Stimmung gut, meine tiefe Überzeugung wuchs weiter.
In Frankfurt dann wurde ich selbst am Vorabend nicht wirklich nervös. Ich schlief sehr gut, erst etwas 90 Minuten vor dem Start überkam mich dann auch die Anspannung.
Aber dergestalt, dass ich am liebsten sofort losgelaufen wäre. Ich war heiß wie Frittenfett, jetzt auch abzuliefern. Früh verabschiedete ich mich vor dem Start von meiner Claudia und den anderen, dann ging ich in meinen Startblock 2. Konzentration. Start. Das Ergebnis leitete meinen Bericht ein. Es kam tatsächlich, wie erträumt. Über den Lauf werde ich eine Laufgeschichte verfassen.
Ich möchte hier mit diesem Bericht Mut machen. Mut, weiter zu machen, auch wenn es einmal nicht läuft. Selbstbewusst sich auf seine Stärken zu besinnen, an den Schwächen zu arbeiten. Sich nicht verrückt zu machen, was andere tun. Die haben eine eigene Geschichte. Und die passt niemals 1:1 zu einem selbst.


„Audere est facere“ steht unter dem Wappen der Tottenham Hotsspurs auf der Hose, die ich immer beim Stabi trage. Und auf dem dazugehörigen Trikot aus Klinsmanns Zeiten bei diesem Londoner Verein. „To dare ist to do“, die englische Übersetzung, ziert die Wände des Nachwuchszentrums der „Spurs“ in London, wie ich in einem Bericht in der FAZ gelesen hatte. Etwas zu wagen heißt, es einfach zu tun. Dann aber auch selbstbewusst damit umgehen, wenn es nicht geklappt hat. Geht aber nur, wenn man sich unterwegs nicht selbst betrogen hat. Auch dazu bietet ein Marathon genug Gelegenheiten. Ich habe gewagt. Und alles gewonnen. 

Danke dafür. Wem auch immer.


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