Die Landschaft ist hier im Norden Spandaus herrlich, aber
die Sonne knallt nun unbarmherzig. Ich habe mir bereits seit VP 7 angewöhnt,
alle drei VP’s Salztabletten zu mir zu nehmen.
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Mit Jörg von der AIDA-Lauftour 2009 |
Am VP 8 fällt mir ein Läufer
auf. Irgendwoher glaube ich ihn zu kennen, aber schon lange nicht mehr
gesehen zu haben. Aber erst mal
verlassen wir vor ihm den VP und laufen durch den reichlich welligen Wald. An
den kurzen Anstiegen gehen wir bereits, denn wir wollen keine unnötigen Körner
verbrauchen. Aber das nervt uns unterbricht hier ständig den bisher so guten
Laufrhytmus. Dann kommen jetzt langsam von hinten Staffeln an uns vorbei. Und
dabei ist auch wieder der bekannte Läufer. Ich spreche ihn an. „Wir kennen uns
irgendwoher, oder?“ Er schaut mich an und ich sage „Aida 2009!“ Da fällt der
Groschen. Jörg ist hier aus Berlin und hatte damals mit seiner Familie die Laufreise
mitgemacht. Dann fiel ihm auch der bunert-Schriftzug auf unseren Shirts auf,
aber im Vorbeilaufen sieht man sich ja meist nicht aus dieser Perspektive. Er
läuft hier die 10er-Staffel, den Abschnitt von Km 71. Wir reden ein paar
Sätze und erhalten einige Informtionen dazu, wie das hier früher aussah. Noch
ein Erinnerungsfoto und eine Facebook-Verabredung, dann lassen wir ihn ziehen,
denn wir wollen uns nicht in 6er Pace hier verleiten lassen. Der VP 9 bietet
einen Wasserschlauch, dankbar lassen wir uns die Köpfe abduschen.
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Dusche - schön! |
Mit klatschnassem
Oberteil geht es weiter, das kühlt aber erstmal ein wenig. 52 Kilometer, gut 6 ½
Stunden, es ist halb ein Uhr mittags. Der VP hier leidet ein wenig unter der prallen
Sonne, die Käsebrote und Salamibrote sind unappetitlich wellig, aber was sollen
sie machen? Ich zwinge mir eine halbe Scheibe trockenes Graubrot hinein und
konsumiere ein wenig Obst. Bisher klappt
das Ernährungskonzept mit regelmäßigen Kleinigkeiten und ich habe noch kein
Hungergefühl. Es würde ja nicht mehr lange dauern, bis unsere Radbegleiter zu
uns stoßen. Ich schreibe es Henning, wo wir uns gerade befinden und höre, dass
sie bereits unterwegs sind. Wir hatten eine italienische Läuferin ein Stück
begleitet, die sehr schlecht Englisch sprach. Irgendwie gelang doch eine
Unterhaltung, sie wollte es noch bis 71 durchziehen und dann herausgehen, da
sie Verletzungsprobleme am bereits getapeten Bein hatte. Spandau wird auf
grünen Wegen durchquert, der Ortsteil Staaken, den wir gerade passieren, war
durch die Mauer geteilt. Es geht wieder ins Grüne, ein Anstieg zum Fort
Hahnenberg zwingst uns zum Gehen. Schatten ist rar. Der Läufer neben uns
erzählt, dass dies hier seine zweite Teilnahme ist, er im letzten Jahr relativ
unbedarft daran teilgenommen hat, es schaffte und nun die „Back-to-back“-Medaille
holen möchte. Bezüglich unseres Tempos sind wir uns mit 6:30 einig und so
laufen wir erst einmal ein Stück zusammen. Wieder nette Unterhaltung für ein
Stück. Hinter dem Fort, welches auf dem Hügel nicht zu sehen ist, geht es hinter
Gärten oder Kleingärten entlang zum nächsten VP. Hier würden hoffentlich Yvy
und Henning bereits auf uns warten. Leider war mein Handy mehrmals abgestürzt,
was ich natürlich nicht sofort bemerkte und so war die Erreichbarkeit für die
beiden nicht immer gegeben. Aber wir sind eigentlich noch genau in der 7er Pace
einschließlich Pausen, die wir gestern Abend kalkuliert hatten. Unsere
Rucksäcke würden wir schon in der Mittagshitze loswerden. Der VP arbeitete mit
der Verbrennung von Kaffeepulver, um die zahlreichen Wespen von unserer
Verpflegung fern zu halten. Wie sagte der Rennarzt zu diesem Thema doch gestern
gleich? „Wenn ihr allergisch gegen Wespengift seid und dazu kommt dann ein
durch das lange Laufen stark erschöpfter Allgemeinzustand, können wir auch
nicht mehr viel für Euch tun!“ Gut zu wissen, also Augen auf beim Schluck aus
dem Schorlebecher und beim Biss in den Apfel. Wir laufen weiter, da hören wir
von hinten Stimmen. Es sind Yvy und Henning. Die beiden waren mit der Bahn bis
Spandau gefahren,
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Yvy und Henning im Anmarsch - Spandau Bhf |
hatten die Fahrtzeit unterschätzt und waren dann bei VP 9 auf
die Strecke gestoßen. Da waren wir aber schon durch wie man ihnen sagte, also
sind sie hinterher. Jetzt hatten wir uns ja. Bisher hatte ich mit Claudia einen
nahezu perfekten Lauf erlebt, wir waren im selben Flow. Aber langsam begann
sich das zu ändern, also kam die Begleitung nun zum absolut richtigen Moment.
Rucksack ab und auf dem Gepäckträger verstaut, dann lief ich mit Henning auf
dem Rade los. Yvy und Claudia folgten kurz dahinter. Es geht nun auf einem „nicht
enden wollenden Radweg“, wie das Roadbook so schön beschrieben hatte, die B2
entlang. Links neben uns die Gatower Rieselfelder, wo früher die Exkremente der
Hauptstadt dem märkischen Sand zur Filtrierung überlassen worden. Gut, das dem
zumindest oberirdisch nicht mehr so ist, bei der Hitze wäre hier sonst die
K**** am dampfen. Dafür werden wir am Ende der Straße nach einem Abzweig in
eine schattige Wohnsiedlung bereits von einem Moderator begrüßt. Der VP 11
Pagel and Friends wartet in einem privaten Vorgarten auf uns. Alles da, sogar
kaltes Bier.
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VP Pagel & Freinds im Vorgarten - Klasse |
Ich verzichte und verpflege mich nur mit Obst, Wasser,
Salztablette und Schorle, dazu vor dem Abmarsch noch ein Gel. Claudia und Yvy
sind noch nicht weit hinter uns, fast parallel starten wir wieder. Ein schönes
Tor zum Durchlaufen,
dann erreichen wir wieder einen See mit einem etwa 100
Meter langen Mauerstück samt Signalzaun davor. Der Groß-Glienicker See zwischen
Groß-Glienicke und Kladow. Auch hier lief die Mauer mittendurch. Ein
französischer Teilnehmer und wir fotografieren uns gegenseitig, leider scheint
er den Auslöser nicht getroffen zu haben.
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Mauerreste |
Auch Henning ist von der
Gegend hier schon genauso begeistert wie ich. Das Berliner Umland ist einfach
ein Traum. Schön, dass man es heute so ungehindert betreten darf. Der nächste
VP ist bereits wieder ein Wechselpunkt mit Dropback Nr. 2. Wie lange ist das
schon her, dass wir uns an WP 1 beim Ruderclub anfühlten wie gerade erst los
gelaufen? 67 Kilometer, 14 Uhr und damit seit 8 Stunden unterwegs und dem Plan
ein Stück voraus. Hier aber wird es wellig, es folgen immer wieder Anstiege,
die zum Gehen zwingen. Darunter leidet die Pace. Aber es ist schön, diese jetzt
nicht mit Gewalt halten zu müssen. Jetzt daran zu denken, es wären ja nur noch
so 14-16 Stunden kommt für mich nicht in Frage. Hennig sagt, mein Laufstil sähe
noch sauber und locker aus. Das kann man nicht mehr von allen Läufern hier
sagen. Daher freue ich mich, dass es mir gut geht und wir bewundert gemeinsam
die netten Häuser hier am Seeufer, die sicherlich nicht zum sozialen Brennpunkt
zählen dürften. Am Ende des Sees biegen wir in den Wald. Der Weg hier besteht
aus hellem, sandigen Belag und staubt wie die Main Street von Tombstone zu
Wyatt Earps Zeiten. Dazu geht es fies bergan. Dafür hat es sich ein wenig
zugezogen und es ist nun nicht mehr heiß sondern schwül. Im Moment weiß ich
nicht, was mir lieber wäre. Mehrfach denken wir, dass wir endlich oben wären,
aber nichts da. Wieder eine Bodenwelle. Dann erreichen wir eine Straße, die
relativ befahren ist. Autofahrer haben jetzt nicht so viel Verständnis, dass
erschöpfte Läufer lieber den Asphalt als den bröseligen Seitenstreifen, der in
Schotter ausfranst, benutzen wollen. Der Wald hier ist schön, die Straße
schlängelt sich in Kurven leicht bergab Richtung Sacrow mit dem gleichnamigen
Schloss und Wechselpunkt. Ich mache kurz vor dem Zwischenziel eine
Bestandsaufnahme meines Kadavers. Nach 70 geschafften und 90 noch zu laufenden
Kilometern ein guter Zeitpunkt, während Henning verkehrsbedingt gerade hinter
mir fahren muss. Füße gut, Schuhwechsel unnötig. Meine On Cruiser laufen wie eine
eins. Beine in Ordnung, Waden bestens und keine Spur von Krampfanfällen, also
mit den Salztabletten bisher richtig dosiert. Oberschenkel sind beim
Berganlaufen im hinteren Teil langsam leicht zu merken, aber das ist noch kein
Problem und wird erfahrungsgemäß auch keines. „Wolfgang“ lässt mich bisher in
Ruhe, keine Scheuerstellen im Schritt. Mein Bauch fühlt sich sehr gut an, weder
leer noch voll. Strategie des immer ein wenig Essens also auch bisher richtig.
Schultern und Rücken locker und relativ unverspannt, auch gut. Rucksack ab sei
Dank. Sonnenbrand habe ich wohl auch durch mehrfaches Einsprühen unterwegs mit
Sonnencreme vermeiden können, jetzt ist es bewölkt und damit egal. Und mein
Geist ist frisch wie am Start, ich freue mich auf den Park und das Schloß
Sacrow.
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WP 2 Schloss Sacrow - Kilometer 71 |
Da sind wir dann auch angekommen. Wieder steigt uns der verbrannte
Kaffeegeruch in die Nase, dafür aber auch keine Wespen am Stand. Jörg von der
Aida kommt kurz nach uns und ist ziemlich fertig. Ist er aber als Staffelläufer
ja auch wirklich. Claudia und Yvy kommen dann auch nach nicht allzu langer
Zeit. Wir beschließen, uns angesichts heraufziehender Windböen und drohenden
Gewitters nicht lange aufzuhalten und den Verlockungen des Unterstellens
auszusetzen, sondern laufen um das Schloss herum auf die Havel zu. Am Wasser
haben wir einen freien Blick auf die Glienicker Brücke, die in vielleicht 1,5
Kilometer Entfernung am anderen Ufer liegt.
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Blick zur Glienicker Brücke - nur noch um s ein paar Seen herum bis dahin |
So nah und doch so fern, denn
während die Grenze hier mitten durch die Seenlandschaft der Havel zur Brücke
verlief, müssen wir den Bogen um den Jungfernsee nach Potsdam hinein machen. Schnell
ein Foto, dann los. Wir kommen aus dem reichlich ungepflegt wirkenden Schlosspark
in den Wald. Irgendwo da gegenüber muss der VP 14 „Brauhaus Meierei“ liegen, wo
es frischgezapftes Bier geben soll. Das motiviert Henning, wir bewegen und
durch den Wald. Am anderen Ufer scheint es aus dichten schwarzen Wolken zu
schütten, hier ist es einfach nur mörderisch schwül. Du bist immer feucht auf
der Haut und fühlst einen Schweißausbuch nach dem anderen. Da war mir echt die
Sonne lieber. Ein paar einzelne Tropfen, aber so richtig etwas ab bekommen wir
hier auf den wurzeligen, aber ganz passablen Waldwegen nicht. Der Blöde See,
den ich durch die Bäume sehen kann, will einfach nicht aufhören. Rechts ab,
wellig in den Wald hinein, der nächste See. Denn es ist nicht nur der Jungfernsee,
der uns vom gekühlten Gerstensaft trennt, nein es folgt noch der Lehnitzsee und
dann der Krampnitzsee. Nach gefühlt endlosen Waldkilometern dann endlich VP
Forsthaus Krampnitz am Kopfende der Grenzumgehung. Claudia und Yvy wieder erst
kurz hinter uns, meine Frau läuft hier wirklich super bisher. Das motiviert
mich natürlich auch. Das klappt alles so gut hier trotz der Hitze, ich bitte inständig
wen auch immer, dass das annähernd so bleiben möge. Wobei mir klar ist, dass
das nicht so kommen wird. Henning ist etwas interessiert an den historischen
Rahmenbedingungen und darin nicht so bewandert, da mein Audioguide sich
versehentlich schon gelöscht hat erzähle ich ihm also die Dinge aus dem Kopf.
Über den Koreakrieg und die Potsdamer Konferenz bis zum Mauerbau, wenn es ihn
nicht interessiert hat konnte er es zumindest gut verbergen. Hinter dem VP
regnet es dann mal kurz und heftig, aber sofort danach lugt schon die Sonne
wieder durch die Wolken, was sofort dampfende Straßen und eine Luft wie in
Kambodscha zur Folge hat. Die Strecke entlang des stetig ansteigenden Radweges
einer Potsdamer Zubringerstraße ist jetzt nicht schön, aber wir überholen immer
wieder Läufer, während von hinten nur Staffeln kommen. Aber das macht mir
psychisch echt nichts aus, es motiviert mich auch nicht. An einer Leitplanke
steht ein Läufer, der immer wieder Krämpfe zu haben scheint. Er braucht keine
Hilfe und so geht es vorbei. Ein älterer Mann mit Schlurfschritt trottet vor
uns den Berg hoch, den ich gerade strammen Schrittes marschiere. Bei Kilometer
80,5 rufe ich die Halbzeit aus. War noch nicht ganz so, wie sich später herausstellen
sollte, aber motiviert ungemein. So 9 Stunden 47 Minuten sind wir unterwegs. „Das
wird eine geile Zeit“ meint Henning, aber ich gemahne zur Vorsicht. Das geht so
nicht weiter, das weiß ich und Dann erreichen wir den Ortsrand von Potsdam und
dürfen an einer umgebauten Kaserne abbiegen. Die Hoffnung auf das Brauhaus
nimmt Gestalt an. Leider geht es noch um etliche Ecken, ehe wir die gastliche
Stätte endlich erreichen. Im „Vorhof“ fanden es leider auch die Wespen
gastlich, was zur Vorsicht mahnte. Ich lasse mir einen halben Becher Bier
zapfen. Das müsste ich vertragen können. Henning darf mehr trinken. So drei bis
vier Minuten nehme ich mir nun an den VP, dann geht es weiter. Ich schaue immer,
dass sich der Gesamtschnitt einschließlich der Pausen nicht zu sehr
verschlechtert. Wenn das hier so weitergeht, denn noch bin ich wohlauf, wird
das wirklich eine endgeile Zeit. Und wenn nicht, gehe ich den Mist eben zu Ende
und habe meinen Buckle dann sicher. Das nächste Etappenziel nach dem Bier wird
mit Wechselpunkt 3 in Teltow ausgerufen. Hier möchte ich gerne nach 13 Stunden
sein, das heißt, ich habe noch 2 ½ Stunden für 18 Kilometer. Hört sich
komfortabel an.
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