
Der Silvesterlauf von Werl nach Soest liegt nicht um die Ecke, aber wir fahren bereits das 5. Mal hin. Es ist die Atmosphäre eines großen Stadtmarathons verbunden mit einer Veranstaltung für Jedermann, man hat das Gefühl, die ganze Region ist irgendwie eingebunden oder macht mit. Die Strecke ist durchaus kurzweilig und vor allem länger als die sonst üblichen 10 Kilometer.
Außerdem treffen wir regelmäßig viele Freund und Bekannte aus dem östlichen Teil des Reviers. Für uns ist das seit Jahren die eigentliche Silvesterfeier. Michael uns seinen Sohn Lukas treffen wir recht schnell und wir reihen uns dann in die Startformation ein. Lukas will unter einer Stunde, der gehört damit eh nach vorne. Und auch wir müssen mit einer 4:40er Plan-Pace machen, dass wir wegkommen, denn nach 100 Metern kommt eine Kurve, da wird es schnell eng. Ein Bekannter von Michael hat sich noch zu uns gesellt, wir sind also zu dritt. Der Startschuss ertönt, es geht los. Leider stellen sich auch hier immer wieder Läuferinnen und Läufer nach vorne, die da wirklich nicht hin gehören. Das ist eine Unsitte, gefährlich und das verurteile ich von hier auf das schärfste. Es geht nicht darum, dass man sich mit einer Plan-Pace von 4:40 bei 4:30 hinstellt oder so, aber wenn ich - am besten noch zu zweit oder zu dritt - mir eine 6er Pace oder langsameres vorgenommen gabe, gehöre ich nicht 5 Meter hinter die Startlinie. Egal, wir kommen jedenfalls noch gut um die Ecke, ich drehe mich immer wieder um, aber Michael bleibt ca. 3 Meter hinter mir. Auch Michael kennt die Strecke, er war im Vorjahr schon dabei. Den ersten Kilometer absolvieren wir in 4:31, obwohl er bereits leicht ansteigt. Ich mahne zur Entschleunigung, denn wir sind ja eh zu schnell. Michael ist bereits 5 Meter hinter uns. Das irritiert mich, ich drehe mich immer wieder um. Schon zu schnell? Nun, der Plan geht immer von der Überlegung aus, dass der erste und letzte Kilometer sowieso immer schneller wird, also heißt es bei Kilometer zwei in jedem Fall, Tempodisziplin halten. Das klappt auch, denn es geht kurz noch einmal hinauf und dann, begleitet von einem Feuerwerk, vorbei an Zuschauern auf die B 1.
Wir sind auf dem berühmten Hellweg. Zu diesem Namen gibt es mehrere Deutungen. Einmal helwech (mittelhochdeutsch), eine Heerstraße, die auf einer Lanzenbreite von 3 Metern von Bewuchs freigehalten werden musste. Dann "Salzweg", vom griechischen Hals bzw. keltischen Hal für "Salz". Es war die Straße, die beginnend beim Rheinübergang in Homberg über Duisburg, Essen, Dortmund Unna nach Paderborn und in den Verlängerungen zu den Kaiserpfalzen nach Aachen und Goslar führte. Wo sicherlich auch Salzhändler entlang gezogen sind. Macht dann auch wieder Sinn. Wir schwitzen ja gerade hier tausendfach welches aus. Erst mal geht es weiter. Schon kommt Westtönnen in Sicht. Lauffreund Günther geht an uns vorbei, auch Michaels Bekannter verabschiedet sich langsam nach vorne. Es geht hinab nach Westtönnen. Ich versuche wieder das Tempo anzuziehen, denn der zweite und dritte Kilometer war mit 4:42 und 4:41 etwas zu langsam. Darum gehen Günter und der andere Läufer auch nach vorne weg. In Westtönnen ist schon wieder gut was los. Es gibt Verpflegung, ich biete Michael an, etwas zu "servieren", aber er möchte nichts. Die Orte auf dem Weg nach Soest haben die unangenehme Eigenschaft, in kleinen Mulden zu liegen, so dass man immer bergab in die Orte hinein läuft und über einen Anstieg wieder hinaus muss. Runde vier passt dann, getragen von der tollen Stimmung in Westtönnen, wieder besser. Es geht hinauf aus dem Ort. Das sind keine harten Anstiege, wir reden über 6-10 Meter auf dem Kilometer, aber die nerven, wenn man das Tempo halten möchte. Zumal sie ja auf einem kürzeren Stück als dem Kilometer bewältigt werden müssen. "So, das erste Kaff haben wir schon hinter uns" versuche ich,, Michael zu motiveren. Er sieht schon ein wenig abgekämpft aus. Es geht über das freie Felde zwischen den beiden "-tönnens".Die Sonne kämpft sich durch die Wolken, keine Spur mehr vom angedrohten Regen. Ein toller Tag. Und ein toller Anblick, wie sich die B1 nach vorne wie nach hinten mit einem riesigen Lindwurm an Läufern gefüllt hat, der sich unaufhaltsam gen Soest voranschiebt. Auch in Osttönnen herrscht wieder eine tolle Stimmung. Die Zuschauer engen die Straße ein, aber das Feld ist bereits so locker auseinander gezogen, dass das nichts ausmacht. Wir müssen uns im Moment aber ranhalten, die Pace nicht aus den Augen zu verlieren. Wir überholen jetzt auch langsam wieder, aber die Pace bleibt immer einige Sekunden zu langsam. Ich klatsche Kinder ab und dirigiere mal kurz die Musikkapelle, dann geht es bergan aus Westtönnen hinaus. Hier werden wir naturgemäß wieder langsamer, denn auf 500 Metern sind 10 HM zu ersteigen. Ich rechne und merke, dass das unter 1:10 h nichts wird, das sage ich Michael natürlich nicht. Aber die geforderten "70 Minuten" sind noch drin, ohne jetzt mal auf die Sekunden dahinter zu achten. "Halbzeit" rufe ich auf dem Feld zwischen Westtönnen und Ampen aus. "Wir sind hier auch am höchsten Punkt der Strecke" versuche ich weiter das Positiver herauszustellen. Dann kommt Ampen in Sicht, hier ist immer am meisten los. Eine Gruppe jugendlicher Bollerwagenfahrer bietet Bier an, ein Läufer vor uns nimmt eine Flasche, trinkt einen Schluck und gibt sie zurück. Unter protestierenden "Austrinken"-Rufen verschwindet der Bollerwagen hinter uns. 10 Kilometer sind in Ampen erreicht. Die Stimmung hier ist toll. Verpflegung möchte Michael wieder nicht. Ich verweise darauf, dass nun die starke Phase von uns Langstreckenläufern kommt, weil die "10er!-Spezialisten hier immer anfangen, einzubrechen. Tatsächlich überholen wir wieder und können die Pace auf dem 11. Kilometer wieder unter 4:40 bringen. Vielleicht geht noch was im Endspurt. Michael muss jetzt kämpfen. Es sind nur noch 4000 m, das ist nicht viel. Der letzte läufts ich in der Altstadt immer fast von alleine, also noch drei zum durchkämpfen. Und er kämpft. Schon ist das Ortsschild von Soest zu sehen, die Jet-Tankstelle und der Kaufland-Komplex auf der rechten Seite. Jetzt kommt mir die dritte Übersetzung des "Hellwegs" in den Kopf. Nach Grimms Wörterbuch aus dem frühen 19. Jahrhundert ist es nämlich ein Weg, auf dem die Leichen gefahren werden. "Helvegr" sei der Weg zur Unterwelt. Nun, so weit muss es nicht kommen, dazu sieht Michael noch zu gut aus. Wir verlassen dann auch mal die B1, es geht gleich eine Schleife links ab durch ein Wohngebiet. Noch zwei Kilometer. Ich sehe auf die Uhr. 1:01:30, das hieße jetzt zwei Kilometer in 4:15er Pace. Nein, das wird nix. Einen ja, aber zwei kriegt Michael nicht hin, obwohl er schon wieder wesentlich motivierter aussieht. Also laufen lassen durch die Siedlung. Auch hier stehen eiige Zuschauer in der Kurve, die sich auch zu donnerndem Applaus motivieren lassen. Das war unterwegs nicht immer so. 4:29er Pace schaffen wir immerhin. Dann der letzte Kilometer. Ich treibe an. Ich schreie an. Viele laufen hier schon aus, aber wir haben noch Reserven. Man kann das jetzt optisch gut in kurze Stücke einteilen. Die Gassen werden enger, wir sind in der Altstadt. "Hinter der Linkskurve Vollgas" rufe ich Michael zu. Und es geht ab. Vorbei an einigen Läufern, ich bleibe auf Michaels Höhe, damit er nicht zurück bleiben kann. Tempo hoch. Dann der Bogen, danach sind es noch 10 Meter. Stop. 1:10:18 Zeigt meine Uhr. Mission erfüllt. Und Potenzial auf den letzten zwei Kilometern toll von Michael abgerufen. Im Ziel warten bereits seine Frau Judith, die 15 km gewalkt ist, und Lukas, der eine super Zeit hingelegt hat und klar unter einer Stunde geblieben ist.
Unvorstellbar. Mit dem üblichen Hallo treffen wir noch viele Laufkollegen im Ziel und bewegen uns Richtung Klamottenausgabe. Auch hier machen die Jungs und Mädels vom DRK und THW wieder einen tollen Job. Dann das Umziehen im historischen Rathaussaal. Mixed Umkleide sozusagen, aber tolles Ambiente unter der blauen Kuppeldecke mit den goldenen Sternen. Danach düfen wir noch Helmut mit seinem TV Flerke an der Bushaltestelle besuchen, wo mit Grill und anderen Köstlichkeiten auf den letzten Lauf des Jahres gegessen und getrunken werden darf - gegen eine kleine Spende, die gerne in das Vereinssparschweinchen wandert.Eine schöne Tradition. Wir sind uns sicher, dass wir im nächsten Jahr wiederkommen werden.
Neujahr hole ich dann meinen ausgefallenen Tempowechsellauf bei herrlichem Wetter nach. Lediglich die Richtung hatte ich falsch gewählt, da ich komplett am Rheinufer mit Gegenwind zu kämpfen hatte. Aber der formt ja bekanntlich den Charakter. Ich bin sogar 1 Sekunde schneller als beim Silversterlauf, bei annähernd der gleichen Distanz. Und mit demselben Spaß. Wäre am Mittwoch Abend im Leben nicht gegangen.
Samstag geht es dann nach Essen. Der Baldeneysee hat uns auch 2016 wieder. "Neujahrslauf" inoffiziell, dennoch genug Leute da. 90 Minuten GAT 1 soll ich laufen, das wäre so um die 5:15er Pace. Aber angesichts der Belastungen der beiden Vortage darf es heute ruhig etwas langsamer sein. Es finden sich zu diesem"inoffiziellen Termin" erstaunlich viele ein. Von Leo Dötsch in Tempogruppen eingeteilt ging es los, endlich mal wieder auf die große Runde mit Kupferdreh und Werden. Zu Werden musste ich meine kleine Gruppe dann ein wenig überreden, aber mit Verweis auf gute Vorsätze hat es dann geklappt. Ruck zuck hat 2016 schon wieder 32 Kilometer auf dem Tacho. Hat super Spaß gemacht, auch wenn die 5:30er Tempodisziplin doch ein wenig gelitten hat. Apropos Tempodisziplin: Es waren auch Neulinge dabei, auf die wir "alten Hasen" vielleicht abschreckend wirken. Ich fände es toll, wenn wir "Tempogruppen uns auch annähernd an das besprochene Tempo halten würden. Da tun wir nämlich allesamt nicht, da fasse ich mich auch an die eigene Nase. +/- 5 Sek/km sind o.k., aber 15 dann doch etwas viel, wie ich finde. Wir wollen ja in der Gruppe trainieren und keine "kenianischen Ausscheidungsintervalle" nach dem Motto "wer am Ende noch dabei ist, hat gewonnen" veranstalten. Vielleicht kriegen wir das ja mal hin. Denn es gilt bekanntlich nicht immer "viel hilft viel".
Die Woche beenden wir am Sonntag mit einem gemeinsamen Lauf durch unser heimisches Revier. Ganz locker und regenerativ, jedoch bauen wir die Halde Rheinpreußen mit ein. Diesmal über die steilere, unregelmäßig ansteigende Seite. Der Abstieg über die alten Trailpfade gestaltet sich jedoch extrem rutschig und matschig, es kann kaum gelaufen werden. Aber auch das kriegen wir in die Reihe. So endet die erste Woche 2016 oder auch die letzte 2016 mit fast 75 Kilometern. Bin gespannt, was die nächste Woche mit dem Kevelaer-Marathon zum Abschluss so bringt.
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