Montag, 30. Mai 2022

Riesenbecker Sixdays Finaltag: Ibbenbüren Aasee nach Riesenbeck

Drama, Baby, Drama. Das ist es ja, warum die Zuschauer - auch bei den Sixdays - immer oben am Berg stehen. Sie wollen den Erfolg sehen, aber auch das Drama des Scheiterns und die Verzweiflung in den Augen der Protagonisten. Nach der Mittwoch-Etappe, in der mein rechtes Knie plötzlich Riesenprobleme machte, sah ich für mich genau dieses Drama kommen. Wer mich bereits am Aasee im Ziel am Mittwoch humpeln gesehen hatte, zweifelte wahrscheinlich zu Recht am Bild von mir im Finisher-Shört.

Ich hatte beschlossen, da zunächst einmal nicht drüber nachzudenken und konzentrierte mich auf das Schneiden des Videos. Silke und Stephan waren nun auch finster entschlossen, es zu schaffen, ihr Tief vom 3. und 4. Tag hatte sich gelegt.

Für die Nacht warf ich vorsichtshalber eine Schmerztablette ein, das ist sonst eher ein Tabu für mich und beim Laufen sowieso. Schmerzen haben Ihren Sinn, diese abzuschalten halte ich beim Sport persönlich für gefährlich. Aber das muss jeder für sich entscheiden. Gut, dass am Vatertag nicht viel Zeit zum Nachdenken blieb, wer mit hätte in Stephans Auto einsteigen sehen, hätte eher auf einen Transport zur geriatrischen Therapie als zum Wettkampf getippt. Gut, dass nur Gäule zugeschaut haben, das Denken sollte man des größeren Kopfes wegen ja ohnehin denen überlassen. Am Aasee empfing uns Sonnenschein, der sich allerdings für den Rest des Tages rar machen sollte. 

Ich gehe ein wenig hin und her, einmal um Athmosphäre wie immer einzufangen, andereseits um nicht über ein mögliches Scheitern nachdenken zu müssen. Aber ich habe einen Plan. Laufen ging am Vortag auf flacher Strecke ja, wenn ich bis zum Teuto-Anstieg laufen könnte, sollte es für den Rest marschierend reichen, und das geht bei mir ja eigentlich immer. Mit orthopädischen Schmerzen muss man umgehen können, kann ich bisher ganz gut, auch wenn ich im gegensatz zu Claudia mehr jammere. Die ist ne Schmerzschluckmaschine und lächelt dabei sogar noch. Ich biete den Zuschauern da lieber ein schgmerzverzerrtes Gesicht, man muss ja Erwartungshaltungen berücksichtigen. Frauen sollten immer lächeln, daher wurden die Männer ja auch früher bei Geburten rausgeschmissen. 

Es geht los. "Wahnsinn" von Wolle Petry beschreibt das ganz gut, was der gesundheitsorientierte Mitmensch zu meinem Vorhaben sagen würde. Aber sind ja "nur" 23 Kilometer, die bin ich bei der TorTour de Ruhr mit dickem Fuß und beim Mauerweg-100-Meiler mit Aua-Knie auch marschiert, und das meist gar nicht so langsam. Dann geht es los. Die ersten Laufschritte seit dem Zieleinlauf am Vorabend an gleicher Stätte. Es schmerzt, geht aber. Nach etwa einem Kilometer bin ich bei moderatem Tempo ganz gut im  Lauf. Das permanante Ziehen im Knie wird zumindest nicht schlimmer, ich bearusche mich mangels anderer griffbereiter Drogen an den Tollen Zuschauern, die überall an de Streckenrändern stehen. Bollerwagentourer, also Männergruppen zumeist in vorväterlichem Alter, kommen uns keine entgegen. Scheinbar hat das Corona-Virus auch in dieser alten Tradition seine Verwüstungen hinterlassen. Egal, meins war es nie, obwohl ich schon seit über 29 Jahren Vater bin.

Da hat das Laufen am Vatertag bei mir schon eher Tradition, genauer seit ich 2008 das erste mal von meinem Großcousin André Süselbeck dorthin geschleift worden war und meine zaudernde Claudia von unserer damals 10jährigen kleinen Tochter zur Anmeldung getriezt worden war. 

Es geht weiter, durch das Wohngebiet vor dem Teuto-Anstieg. Wie heißt es so schön in deer Ausschreibung: "Die flachen Wege antlang der Aa können gut zum Positionsaufbau genutzt werden". Ich weiss nicht, was sich in meinem Knie gerade an Positionen aufbaut, ich baue meine Position gerade im hinteren Feld auf. Wenn ich ehrlich bin, bin ich aber sehr zufrieden, als meine Uhr nach 5 Kilometern noch keine 30 Minuten zeigt. ich kam mir langsamer vor, weiss aber nun, dass ich für 18 Kilometer nun 2 1/2 Stunden Zweit haben würde. Das entspannt die Situation ein wenig, aber noch nicht ganz. DerSchmerz ist ja nicht weg, sondern lediglich nicht schlimmer geworden. Aber m,an ist ja schon mit Kleinigkeiten zufrieden. Steil hiauf in den Wald führt die Strecke, der erste "Alte Schwede" entweicht meinen Lippen. Und ich muss schauen, wo ich auftrete. rechts hochdrücken geht nicht, also nur den linken zum Abdruck nutzen. Etliche gehen an mir vorbei, loben teilweise sogar noch meine Videos. Auf gutgemeinte Fragen, was mein Knie macht, kann ich leider nur "scheisse" antworten. Sorry für meine Fäkalsprache. Aber gewisse Dinge müssen halt ausgesprochen werden. Bringt nichts, aber danach geht es einem kurzfristig besser. Zumindest habe ich durch das gemäßigte Tempo keine Konditionsprobleme. Man erfreut sich halt an den kleinen Dingen. Kaum oben, geht es leider auch schon runter. Auf grobem Wurzelweg leider eine TorTour für mein Knickscharnier. Auch das hatte ich erwartet. Gut noch der Läufer, der mir von hinten hier "meine Haustrainingsstrecke" anpreist und sich im Überholen als Angehöriger der Ü70 entpuppt. Haustrainingsstrecke! Gesunde Landluft und Sport scheint ja ein gutes Mittel gegen den Pflegenotstand zu sein. Irgendwie humple ich herunter, unterwegs noch die Flatolenzen eines aus Gründen des persönlichkeitsschutzes des Verursachers mit "Mahlzeit" kommentiert, worauf sich ein geradezu symphonisches Folgekonzert aus vergaster Läufernahrung aus der Markentight des Kollegen verabschiedeten. Auf das Gendern verzichte ich hier erneut, denn Frauen machen so was ja nicht. "Denn hinten wollte keiner sein denn hinten war die Luft nicht rein".

Der VP vor der letzten längeren Steigung ist erreicht. Hier gibt es Cola, die ich dankbar nehme und dann hoch marschiere. Immer wieder kommen Teilnehmende(heißt das so korrekt, wenn Frauen nicht nur "mitgemeint sind?) an mir vorbei hochlaufen. Kaum schneller als ich beim marschieren, wenn es oben auf dem Teuto wieder geradeaus geht u d ich nochmal laufen kann, hole ich einige wieder ein. Immer wieder mal einzelne anfeuernde Zuschauer, die geben Mut und Kraft. mein Knie hat den Antieg und vor allem den Abstieg ziemlich übel genommen. Kann zwar heiter werden, aber es sind nur noch 12 Kilometer. Gut, dass solche Zahlen in meinem Kopf keine Angst mehr auslösen. Ich denke an Claudia, die hier wieder Gas geben wird. Ich weiss, sie wird alles geben, um erstmals bei den Sixdays unter die Top 5 und damit auf die Bühne zu kommen, vor der sechsten hat sie eine halbe Stunde Vorsprung. Ich bin sicher, dass das reicht. Sie auch, sie sagt das nur nicht. Aber sie wird alles geben, da bin ich mir sicher. Jetzt kommt schon das Gefälle an der Gravenhörster Schlucht. Das gibt meinem Knie wieder einige ungewollte Bewegungen weiter, besser wird es nun nicht mehr. Aber ich will nicht klagen, heute vor dem Frühstück hätte ich keine Wette angenommen, dass ich so weit kommen würde. Mehr humpelnd als laufend überwinde ich das Gefälle zur Millionenbrücke und weiter zum Mittellandkanal.


Die Läufer um mich herum wirken nun alle schon etwas angeschglagen. Scherzkeks, ich gewinne nun bei einer Videoanalyse meines Laufstils wahrscheinlich auch nicht mehr den Oscar. Aber mein Verstand ist fokussiert. Egal, wie viele noch an mir vorbeikommen, die drei Stunden sind save, wenn ich nicht versehentlich im Kanal ertrinke. Aber laufen ist nun im wunderschönen Bevergern nur noch kurze Strecken möglich. Meine Muskulatur im Bein mit dem defekten Scharnier ist so ziemlich alles verkrampft, was so geht. Also laufen bis es nicht mehr geht, gehen bis es wieder läuft. Alte Ultraweisheit. Ich versuche noch Mitleidende aufzumuntern. Ziel visualisieren hilft ja öfters. Und die Kilometertafeln, die ja immer kleinere Ziffern anzeuigen. Hinter mir freuen sich zwei Frauen, dass sie im Film vorkommen. Immer wieder laufen sie an mir vorbei wenn ich gehe, dann überhole ich wieder beim Laufen. Ich freuen mich nun nur noch auf den Zieleinlauf. Die Schmerzen im Knie waren erträglich, Laufen war oft noch möglich. Morgen? Erstmal egal. 

Am letzten Straßenübergang an der Ortseinfahrt lacht Ex-Sieger und HAC-Trainer Gerrit mich an. "Auf dem Fahrrad würd ich jetzt auch lachen". scherze ich. Er fährt einige Meter neben mir her und spricht mir Mut zu. Ich kenne Ihn nun auch schon länger und verfolge ihn auch über die sozialen Medien. Ein Laufverrückter, der auch viel Gutes tut. Schön, dass er mich ein Stück begleitet. 

Dann geht es in die Sünthe-Rendel-straße, die den Namen jener "Heiligen der Blaumacher" trägt, die ich im ersten Video erklärt hatte. Hier steht sie wieder, die "Blaue Wand aus Dickenberg". Getragen von den Wahnsinnigen vom Dicken Berg spüre ich nichts mehr im Knie, es geht hinauf auf den Parkplatz und zum Zielbogen, wo ich bzuerst meine Claudia auf mich warten sehen. Seltenes Bild, sonst ist es meist andersherum. Ich schreie meine Freude heraus, bin stolz, die Herausforderung angenommen und nicht gekniffen zu haben. Auch wenn ich jetzte erst mal wieder Laufpause haben werde. Ob es besser geworden wäre, hätte ich gestern aufgehört, weiß man jetzt halt nicht mehr. Für meinen Kopf sicher nicht. Der extreme Gefühlsausbruch wie nach dem Hamburg Marathon bleibt Gott sei Dank aus.



Ich wechsele schnell zur Freude, dass Claudia gut im Ziel ist und das ich es geschafft habe. Meine guten Auftritte der ersten drei Tage konnten kein Maßstab sein, das hätte mir klar sein müssen und das war es mir auch. Ich bin dankbar, dass es drei von sechs Etappen sehr gut lief. Das war mit 300 Laufkilometern in diesem Jahr nicht zu ewarten. Ich wollte im März im Trainingslager 7 Tage hintereinander laufen können, den Hamburg Marathon finishen und die Sixdays schaffen. Das alles habe ich mit Spaß beim Laufen erreicht. Für Leistungsdruck ist die Zeit nicht mehr.

Claudia hat den 4. Platz W55 sicher gehalten, auch wenn sie am letzten Tag nicht mehr ganz so stark laufen konnte, wie bisher. Wir genießen die einzigartige Siegerehrung.Sie hat so konsequent trainert in den letzten Monaten, das hat sie sich wirklich erarbeitet.

Jetzt, vier Tage danach, laufe ich leider immer noch nicht vernüftig. Aber die Hausärztin tippt auf Überlastung, ein MRT steht aber sicherheitshalber an. War es das wert? Ja. Jeder schmerzhafte Schritt hat mir Spaßgemacht, auch wenn ich geflucht habe. Ich habe mich erfreut an der tollen Strecke, an den tollen Mitläuferinnen und Läufern, die ich versucht habe, zu inspirieren und zu motivieren Die Party am Abend stellte wieder einmal alles ins rechte Licht. Auch Claudia auf der Bühne machte eine gute Figur.



 Am nächsten Wochenende steht mit der TorTour de Ruhr das nächste epische Ereignis an. Für mich nur als rechte Hand und Beschallungstechniker des Veranstalters. Aber ich werde dabei sein. Und Claudia wird den Bambinilauf über 100 km angehen. Und ich sie hoffentlich im Ziel in die Arme nehmen. Silke und Stephan sowie weitere Freunde werden sie zum Ziel geleiten. Aber das ist Zukunft. 

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