Freitag, 30. Mai 2014

Riesenbecker Sixdays - Schlussetappe Ibbenbüren Aasee - Riesenbeck "Etappe der großen Gefühle"


Es war, bedingt durch Marco und Kims Ankunft und die längere 5. Etappe spät geworden am Mittwochabend. Erst gegen Mitternacht fanden wir in die Betten. Als ich als notorischer Frühaufsteher gegen 7 Uhr erwachte, hörte ich es nach wie vor draußen plätschern und tröpfeln. Wollte der Dauerregen, der uns seit Montagnacht begleitete, denn nie mehr aufhören? Wir alle wünschten uns wohl eine trockene Schlussetappe, die dieser einzigartige Wettkampf wohl verdient gehabt hätte. Marco und Kim waren erst wenige Stunden hier und wohl auch schon vom Geiste dieser Veranstaltung erfasst. Der erneut emotionale Zieleinlauf am Strandbad am Aasee der schlammverkrusteten Läuferinnen und Läufer und das Engagement der Helfer und Zuschauer an der Strecke hatte auch sie beeindruckt. Während des  Frühstücks hörte es langsam auf, der Himmel behielt jedoch sein dunkelgraues Trauerkleid. So ganz wollte der d oben die Veranstaltung wohl noch nicht aus seinen Händen geben. Man hat zwischen den letzten beiden und auch längsten Etappen ja nur 20 Stunden Zeit von  Start zu Start, also hieß es nach dem gemütlichen Frühstück für mich schnell den Bericht zur 5.Etappe zu schreiben. Denn sonst überlagern die neuen Eindrücke des Tages wieder de Erlebnisse, de ich hier ja nicht nur für  Euch sondern besonders für mich selbst aufschreiben möchte.
Es war durch den vielen Regen kalt geworden, das Thermometer zeigte nur noch 13 Grad an, dazu wehte ein unangenehmer Wind, der am Aasee zum Start recht intensiv für durchgängiges frösteln sorgte. Die Stimmung war überraschen gut und gelöst bei allen Teilnehmern, das lag wohl an der Vorfreude, es bald geschafft zu haben. Moderator Michael Brinkmann wies noch einmal auf die Spendenaktion zugunsten der Verstorbenen Karine hin und kündigte erneut die Sängerin Jenny Garcia an, die uns mit einem Karine gewidmeten Song live hier auf die Strecke schicken sollte. Wir wurden gebeten, ein letztes Mal einige Minuten vor dem Start inne zu halten und den Song auf uns wirke zu lassen, vielleicht auch noch einmal über die Ereignisse nachzudenken, ehe uns wieder die großen und kleinen Läuferdramen und Positionsrangeleien beschäftigten. Dazu waren leider viele Laufkolleginnen und Kollegen nicht in der Lage. Während ich den Arm um meine Claudia gelegt hatte und in den wolkenverhangenen Himmel schaute, scherzten einige viele weiter herum, als ob nichts geschehen wäre. Das hat mich sehr gestört. Show must go on, ja klar. Das Rennen und das Leben gehen weiter, persönlich haben wir alle die Verstorbene nicht gekannt. Aber ist es zu viel verlangt, noch ein letztes Mal 3 ½ Minuten zu schweigen? Aus Respekt der Künstlerin und der Toten gegenüber? Als ich dies kurz meinem Nachbarn äußerte, gab er mir Recht. Irgendwie erschreckend, wie schnell die Normalität zurückkehrt. Aber vielleicht ist das auch gut so.

Wir wünschten uns ein gutes Rennen, dann ging es schon los. Ich hatte mich wieder zu weit vorne eingereiht und lies mich den ersten Kilometer entlang des wunderschönen Aasees mitziehen, 4:34 war das Ergebnis. Dann wurde der Weg wieder zum Pfad und führte uns durch ein kleines Wäldchen. Meine Beine fühlten sich schon wieder an wie Blei, alles andere hätte mich auch wundern müssen. Dann stoppte das Feld unvermittelt. Geschlagene 38 Sekunden ging es an einer Ecke nicht mehr weiter. Als ich dann „an der Reihe“ war und um den Busch vor uns herum konnte, sah ich auch, warum. Eine riesige Pfütze von mehreren Metern Länge, nein, eher ein Miniatur-Moor zwischen Zaun und Gebüsch hatte das vordere Feldviertel mal eben völlig ausgebremst. Vor zwei Jahren hätte das bei mir eine mittlere Panikattacke ausgelöst. Heut war es mir ganz Recht, dass mein Puls wieder Gelegenheit bekam, in seine Ausgangsposition zurück zu kehren. Also Reset, es ging weiter. Ein Stück der Groner Allee entlang, welches wir  bereits auf der ersten und zu Beginn der zweiten Etappe in verschiedene Richtungen belaufen hatten, dann auf befestigten Wegen am Ortsrand von Ibbenbüren schön flach weiter. Ich wurde überholt, ich überholte, begann mich aber langsam einzulaufen. Ich halte hier tatsächlich noch eine Pace um die 4:40 über die ersten Kilometer, die bretteben entlang der Aa und durch ein schönes Wohngebiet führen. Danach ist es dann, so bei Kilometer 7-8, endgültig Schluss mit Lustig, dann geht es hinauf in den Teuto. Bereits auf dem leicht ansteigenden Feldweg nahm ich Tempo heraus, kurz darauf konnte ich auf einem flachen Asphaltstück nochmal beschleunigen. „Du schreibst doch immer den tollen Blog“ höre ich von hinten eine Frau, die  gerade an mir vorbei läuft. „Ja, danke, freut mich, wenn’s Spaß macht“. „Schreib weiter, ist super“ und weg ist sie. Hier sind unheimlich viele starke Teilnehmer, die am Berg noch ein unglaubliches Tempo halten können. Auch die blonde Dame aus der W60 geht wieder locker an mir vorbei, als ich beginne, von laufen auf gehen zu wechseln. Der Weg ist morastig, durchzogen von Wurzeln und Steinen. Teilweise sinke ich wieder ein und durch den Riss, den ich am Start an den Leisten meines ON Cloudsurfer-Schuhs entdeckt hatte, dringt Matschwasser ein. Der hat es dann im Ziel auch hinter sich. Er hat mir treue Dienste geleistet, hat mich 2013 in Düsseldorf zu einer 3:11:01 im Marathon getragen und auch durch den Marathonlauf bei der Ironman-Distanz. Na ja, so haben sie einen würdigen letzten Lauf. Wir machen hier gerade wieder 70 Höhenmeter auf 1,2 Kilometern hinauf auf den Kamm des Teutoburger Waldes. Ein älterer Läufer hört neben mir dann auch mit dem Laufschritt auf. Dies uns gibt Gelegenheit, ein paar Worte zu wechseln. „Mir kann heute nix mehr passieren. Der erste M 60 ist 20 Minuten vor mir, der dritte 20 Minuten hinter mir.“ „Klasse, dann kannst Du es ja auch ruhig angehen lassen!“ “Vor zwei Jahren war es noch langweiliger, da hatte ich in der AK ganz schwache Konkurrenz. Über eine Stunde Vorsprung vor der letzten Etappe, das war langweilig“.
Wie sind oben. Ich bewundere diesen erfahrenen AK-Läufer und was der hier mit über 60 noch leistet. Damit ist er hier nicht alleine. Ich gewinne oben dank meines Gehens schnell wieder Tempo und habe schnell die Läufergruppe vor mir wieder eingesammelt und meinen Begleiter abgehängt. Hier oben auf dem Herrmannsweg wird der Weg bessser, es war die richtige Entscheidung, auf die weniger geländegängigen ONs zu setzen und die Trailschuhe zu Hause zu lassen. Denn nun geht es, nach einer ordentliche „Welle“ im Gelände, wieder hinunter an der Südseite des Teuto. 
Dort unten am Postdamm würden Marco und Kim warten, dort gibt es den zweiten Verpflegungsstand und es geht den letzten Berg der Sixdays hinauf. Unten ist die Hölle los, ich komme mit ordentlich Tempo trotz des schlechten Bergweges um die Ecke. Ein kurzes Hallo, einen Becher Cola, die hier erstmalig gereicht wird, und es geht wieder im gehschritt hinauf. Die ebenfalls angebotene Schokolade lasse ich lieber. Wieder überholen mich einige, die ich eben bergab hinter mir gelassen habe. Vor zwei Jahren wusste ich, dass ich noch eine Menge „Tinte auf dem Füller“ hatte und es denen allen auf der Flachetappe auf den letzten 9 Kilometern zeigen konnte. Heute bin ich mir da nicht mehr so sicher. Das Problem ist weniger der Puls, der sich noch im Bereich GAT 2 bewegt, sondern meine bleischweren Beine. Das hatte ich hier spätestes seit Sonntag täglich. Und das lässt mich zweifeln, dass ich hier wie damals noch viele überholen würde können. Egal, ich habe den letzten Berg geschafft, sogar in 6:08 mit Gehphase. Jetzt lasse ich meine schweren Beine wieder laufen.

Der Läufer im Volksbank-Einteiler bleibt endgültig hinter mir, vor mir noch einmal der SV-Teuto und einmal das blaue Hemd der LG Emsdetten. Auch die kommen hier oben auf dem Herrmannsweg wieder näher. Bald muss schon das 10-Kilomter-Schild auftauchen, denn hier sind lediglich die letzten 10 Kilometer der letzten Etappe rückwärts ausgeschildert. Da war es, der Countdown läuft. Ab und zu scheint die Sonne erste Durchbrüche durch die Wolkendecke zu wagen, letztlich sollte sie jedoch nicht durchkommen. Meine Kleidung mit Einteiler und Armlingen wie in Hamburg bewährt sich jedoch bei den ähnlichen Temperaturen hier. Zum Laufen ist es angenehm, Hauptsache jedoch trocken. Kilometer 13, der hier bereits leicht bergab verläuft, schaffe ich bereits wieder mit einer 4:47er Pace, auf Kilometer 14 kann ich es dann wieder richtig laufen lassen. Mit 4:25 geht es den Waldpfad hinunter zur „Millionenbrücke“ über den Mittellandkanal auf seinen ersten Metern. Ich habe den Wald geschafft. Schon kurz vorher höre ich die vielen Zuschauer, deren Anfeuererungsrufe hinauf in den Wald schallen. Gänsehaut. Unten ein Verpflegungsstand, ich danke den Helfern, nehme eine Cola und überquere die Wasserstraße. Hinter der Millionenbrücke geht es sofort hinunter zum Kanalwirtschaftsweg, wo mich sofort die Windkeule von vorne trifft. Egal, wenn es gar nicht mehr geht, einfach locker weiterlaufen. So geht es mir durch den Kopf, als ich am “Nassen Dreieck“ über eine alte Eisenbrücke nun auch den Doofmund-Ems-Kanal überqueren darf. Auch hier wieder viele Beifall spendende Helfer und Zuschauer und deren „Komm, ist nicht mehr weit“ ist nun wirklich einmal kein dummer Spruch, sondern kommt ehrlich bei mir an. Dann sind wir im Golddorf Bevergern angekommen, keine Ahnung, warum das so heißt. Jedenfalls führt die Strecke hier herrlich hinter Gärten an einem kleinen Kanal durch den Ort.  Hier ist dann endlich der Läufer vom SV-Teuto fällig. Kurz darauf überholt mich jedoch auch noch eine Gruppe von vier bis fünf Läufern, ich widerstehe der Versuchung, trotz meiner schweren Beine zu versuchen, mitzuhalten. Die 4:42 für Kilometer 16 sind immer noch mehr, als ich erwartet hatte. Der Läufer von der LG Emsdetten läuft nun unmittelbar vor mir. Wir sind im Ortskern, ein Moderator sagt mich noch einmal an, hier ist sonst außer dem Vorhandensein des vorletzten V-Punktes nichts los. Dann noch einmal hinaus entlang des kleinen Abflusskanals. Die Läufer sehen hier hintereinander aus, wie die Perlen an der Schnur aufgereiht. Ein schönes Bild. Leide sinkt auf dem schmalen, matschigen Weg auch wieder die Pace. Als wir endlich in der Nähe des Wasserschlosses Surenburg das 4-Kilometer-Schild passiert haben, laufe ich neben dem Läufer der LG Emsdetten. Wir tauschen einige Worte aus und laufen dann unverabredet zusammen weiter. Ich glaube, wir sind, so glaube ich nun, beide froh einen Begleiter für die letzten Kilometer zu haben.
Die Allee vor den Schloss zieht sich wunderschön dahin, ich sage „lauf mal, ich mach ruhiger“ aber irgendwie bleiben wir dann doch zusammen. „Ein schönes Schild“ sage ich, als Kilometer zwei in Sicht kommt. Wir überholen noch zwei Läufer, einen vom SV-Teuto und einen von Marathon Steinfurt. Deren Laufstil lässt schließen, dass die gut durch sind. Schnell gewinnen wir beide Abstand.  In meinem Kopfkino laufen die Bilder und Gefühle der vergangenen Teilnahmen noch einmal ab. Vor allem die Euphorie beim letzte Mal 2012. Ich hatte nur noch Läufer eingesammelt und war klar in die Top 100 dieses toll besetzten Wettkampfes gestürmt, habe noch um jeden Platz gekämpft, habe sogar die 9:30 h unterbieten können.  Und heute? Ich bin froh, die Top 200 bzw. das vordere Drittel geschafft zu haben, die Zeit wird wohl die schlechteste seit meiner Premiere 2008 werden, aber sie ist mir wertvoll. Nur noch ein Kilometer, wir sind in einer Wohnsiedlung, wo es ein letztes Mal leicht bergauf geht. So lang hatte ich die Passage nicht auf dem Schirm. Ich lasse die LG Emsdetten mit guten Wünschen ziehen. Hinter mir ist Ruhe. So habe ich den Zieleinlauf für mich alleine. Hier hatte ich im letzten Jahr die Überholorgie abgebrochen und aus den gleichen Gründen den Läufer vor mir ziehen lassen. Endlich bin ich oben, jetzt geht es bergab nach Riesenbeck hinein, immer mehr Zuschauer säumen den Kurs. Dann die linkskurve, die abgesperrte Straße, Zuschauer jubeln mir rechts und links der Absperrgitter zu. Ich nehme die Arme hoch, sehe die Fotografin des SV-Teuto und winke ihr zu. Sie begreift und schießt ein Foto von mir. Ich werde es später wohl unter www.sv-teuto.de  finden. Hier schon mal danke schön vorab.
 Dann geht es zum Ziel. Pure Freude, ich reiße die Arme hoch, brülle mehrmals „Ja, ja, ja“.
Kein Gedanke an schlechte Zeiten, an schwere Beine, sehr wohl aber ein kurzer Moment in Gedanken an diejenige, die genau diese Gefühl hier nicht mehr erleben durfte. In tiefer Dankbarkeit gehe ich in die Hocke und lasse  mir die Medaille umhängen. Ich bin platt. 1:57, zumindest klar unter zwei Stunden geblieben, damit kann ich gut leben. Wir wollen ja immer wieder an die Grenze heran, an die Grenze von Kampf und Duchhalten zum gesundheitsgefährdenden Wahnsinn. Überschreiten wollen wir sie alle nicht. Das habe ich nicht getan. Ich treffe Andre, Birgit und viele andere Freunde und Bekannte. Dieter ist jetzt auch im Ziel, die letzten beiden Tage haben auch ihn geschafft. Erfreut sich mit Birgit über ihren Altersklassensieg und den 4. Gesamtplatz. Auch für Birgit als Sixdays-Neuling eine ganz starke Leistung! Stolz trage ich mein Finisher Shirt, denn dieses habe ich mir wie alle anderen auch hart verdient. Du bekommst es nur, wenn Du alle Etappen beendet hast, das wird genau nach gehalten. Dann kommt Claudia ins Ziel.
Ich versuche noch, ein gutes Bild zu machen, aber sie läuft hinter mehreren anderen herein. Auch sie hat es glücklich wieder geschafft, so sieht sie allerdings auch aus. Sie ist bei Kilometer 11 mit dem Fuß umgeknickt und den Rest mit Schmerzen zu Ende gelaufen. Das ist jetzt wiederum so eine Sache, die für mich auf einem ganz anderen Blatt steht. Schmerzen im Fuß kann man überlaufen, wenn es nicht mehr geht, würde es nicht mehr gehen. Man macht aber in der Regel nicht mehr kaputt, als dann ohnehin kaputt ist.
Nicht, dass ich mir Sorgen gemacht hätte, aber angesichts dieser besonderen Sixdays bin ich doch froh, meine Frau im Ziel relativ gesund und glücklich in die Arme nehmen zu dürfen.
Dass das nicht selbstverständlich ist, haben unsere französischen Läufer hier am dritten Tage erfahren müssen.
Von der tollen Stimmung bei der Siegerehrung im rappel vollen Partyzelt am Abend will ich gar nicht viel Berichten, es war wie immer der würdige Abschluss einer großen Veranstaltung.
Bei einer Tüte Chips und einem Gläschen Wein und Sekt ließen wir nach den traditionellen Pommes-Currywurst nach der Party den Abend, oder besser frühen morgen, mit Marco und Kim in unserem Holzhäuschen ausklingen. Auf der Rückfahrt am Freitag fuhr dann mal meine Frau, denn ich musste ja diesen Blog noch verfassen….
Wir waren eigentlich der Auffassung, die Riesenbecker Sixdays 2016 einmal auszulassen. Ich hatte bereits am zweiten und dritten Tag lernen müssen, dass man die „nicht mal eben so“ läuft, sondern dass ein schneller Marathon und keine gezielte Vorbereitung einen eben immer müder werden lässt. Der ganze Umgang mit den dramatischen Ereignissen hier, insbesondere die Minute Applaus am „Tag danach“ haben mich mit diesem Lauf weiter verbunden. Ich glaube, ich werde 2016 doch wieder da sein. Das Ferienhaus habe ich schon mal reserviert….




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